
Mentale Gesundheit im Unternehmen – Zwischen Fürsorge und Führung
Über psychische Gesundheit wurde lange geschwiegen. Inzwischen ist klar: Sie ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen. Besonders in KMUs, wo der Ausfall einzelner Mitarbeitender sofort spürbar ist, braucht es ein sensibles, strukturiertes und menschliches Vorgehen.
In diesem Beitrag teile ich konkrete Erfahrungen, wie wir mentale Gesundheit nicht nur zum Thema gemacht haben – sondern fest in unserer HR-Arbeit verankert haben.
Warnzeichen erkennen – bevor es zu spät ist
Psychische Belastungen entwickeln sich oft schleichend – und bleiben lange unbemerkt. Gerade betroffene Mitarbeitende selbst haben häufig Mühe, ihre Situation einzuordnen.
Was wir beobachtet haben:
- Rückzug aus dem Team
- Schwankende Leistungen, Konzentrationsprobleme
- Erste Fehltage ohne klare Ursache
Unser Ansatz:
- Wenn ein erster ungeplanter Fehltag auftrat, haben wir genau hingeschaut
- Wir baten Mitarbeitende frühzeitig um die Kontaktdaten von Angehörigen, Freunden oder WG-Mitbewohnern als Notfallkontakte
- Im Ernstfall konnten diese Personen aktiv werden und Arzttermine oder Unterstützung organisieren – denn oft fehlte den Betroffenen selbst die Energie dafür
Zusätzlich:
- Aufbau einer Liste mit regionalen Ansprechpartnern für psychische Erste Hilfe
- Bereitstellung von Coaches, je nach Fall
- Resilienz-Workshops für Führungskräfte, um Signale früh zu erkennen
Feedback- und Fehlerkultur leben
Mentale Gesundheit braucht Vertrauen – und das entsteht nicht über Nacht. Wir haben systematisch Feedbackgespräche eingeführt, um Themen frühzeitig anzusprechen und auch kleine Irritationen ernst zu nehmen.
Im agilen Umfeld, in dem wir arbeiteten, war die Fehlerkultur ein zentraler Bestandteil. Wir haben versucht, aus jedem Fall zu lernen – und unsere Werkzeuge zur Unterstützung kontinuierlich anzupassen.
Lebensphasen begleiten – nicht nur Arbeitsverhältnisse verwalten
Mitarbeiterbindung entsteht, wenn man sieht: Ich bin hier nicht nur Arbeitskraft, sondern Mensch. Dieser Leitsatz hat unser Handeln geprägt.
Unsere Maßnahmen:
- Flexible Rücksichtnahme bei der Pflege von Angehörigen
- Unterstützung bei längeren Krankheiten und Ausfällen
- Homeoffice-Möglichkeiten, wenn der Arbeitsweg zur Belastung wurde
- Sabbaticals zur persönlichen Erfüllung (z. B. Reisen)
- Workations mit dem Team in anderen Ländern – als Kombination aus Arbeit und Erlebnis
Aufbau von Langzeitkonten zur Finanzierung längerer Auszeiten oder eines früheren Renteneintritts


Reboarding nach Abwesenheit – sensibel und strukturiert
Besonders nach Elternzeit haben wir gemerkt, wie wichtig ein kluges Wiedereingliederungskonzept ist.
Was wir getan haben:
- Mitarbeitende konnten mit einer selbstgewählten Stundenzahl zurückkehren
- Sie wurden in überschaubare Projekte eingebunden
- Fachliches und emotionales „Onboarding“ wurde getrennt geplant
Geduld statt Leistungsdruck: Der erste Eindruck entscheidet oft über den langfristigen Verbleib
Low Performer & stille Leistungsträger – den richtigen Blick behalten
Nicht jeder Mitarbeitende performt dauerhaft gleich – das ist normal. Aber es braucht Struktur, um fair zu begleiten.
Unser Vorgehen beim sogenannten PIP (Performance Improvement Program):
- Intensive Betreuung, realistische Ziele, gezielte Unterstützung
- Ziel: den Mitarbeitenden wieder auf Team-Niveau bringen
Doch: Gleichgewicht ist entscheidend.
Wir haben erkannt, dass der Fokus auf Schwächere dazu führen kann, dass unsere stillen Leistungsträger unter dem Radar verschwinden.
Deshalb haben wir eingeführt:
- Regelmäßige Führungsrunden zur Mitarbeitereinschätzung
- Einsatz einer Performance-Potenzial-Matrix (Leistung x Entwicklungspotenzial)
- Gezielte Förderung von leisen, aber wichtigen Teammitgliedern
In Einzelfällen auch Weitervermittlung an Partnerunternehmen, wenn eine Passung im bisherigen Kontext nicht mehr möglich war
Fazit
Mentale Gesundheit ist kein Feel-Good-Thema – sie ist Wettbewerbsfaktor, Bindungstreiber und Menschlichkeit in der Führungskultur.
In KMUs, wo persönliche Beziehungen tragender sind als Prozesse, braucht es klare Haltung und pragmatische Lösungen.
Wer hinsieht, zuhört und Verantwortung übernimmt, wird belohnt: Mit loyalen, stabilen und gesunden Mitarbeitenden.

